Wenn Wohnraum als Ware gehandelt wird, können Vermieter*innen aus dem Grundbedürfnis Wohnen Profit schlagen, während Mieter*innen sich ihres Zuhauses nie sicher sein können. In keiner europäischen Stadt fließen so viele Investitionen in den Wohnungsmarkt wie in Berlin – wobei viel mehr in den Kauf von Bestandsimmobilien als in den Neubau investiert wird. Um den Profit der Investor*innen sicherzustellen, müssen die Mieten zwangsläufig immer weiter steigen. Wer sind die größten Akteure auf dem Berliner Mietmarkt und wie handeln sie mit Wohnraum?
Im Gegensatz zu vielen anderen Städten kontrollieren in Berlin wenige Wohnungsunternehmen einen bedeutenden Teil des Mietwohnungsmarkts und beeinflussen damit auch die Preisbildung am Markt. Wir haben die zehn Anbieter mit den meisten Online-Angeboten in Berlin identifiziert – die Big Players. Neben den privatwirtschaftlichen, profitorientierten Konzernen finden sich darunter auch städtische Wohnungsbaugesellschaften. Zusammen besitzen sie mindestens 27 % des Mietwohnungsbestands in Berlin und stellten knapp 28 % der untersuchten Angebote in der Stadt.
Von April 2018 bis Oktober 2019 verteilten sich ihre jeweilige Anteile an den Wohnungsinseraten folgendermaßen:
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Die Karte liefert einen Einblick in die Lage der Wohnungsbestände der einzelnen Anbietern. Bei den Wohnungen der Deutsche Wohnen handelt es sich vor allem um Großsiedlungen am Berliner Stadtrand. Akelius konzentriert seine Aktivitäten auf Gründerzeitgebäude innerhalb des S-Bahn-Rings.
Auch die Baujahre der Wohnungen unterscheiden sich die Angebote der Big Players erheblich. So ist der Anteil von Neubauwohnungen bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften Degewo und Stadt und Land im Vergleich zu den privaten Anbietern hoch. Die Deutsche Wohnen bietet beispielsweise gar keine Wohnungen in Neubauten (Baujahr nach 2000) an.
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Unsere Daten belegen eindrücklich: die Mietpreise in Berlin sind außer Kontrolle geraten. Günstiger Wohnraum (weniger als 7 €/m² nettokalt) wird nur von städtischen Anbietern inseriert. Private Anbietern vermieten kaum Wohnungen unter 10 €/m² nettokalt. Knapp drei Viertel der Angebote von Akelius werden zu mehr als 15 €/m² nettokalt angeboten.
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Die Nettokaltmiete ist für Vermieter*innen die Haupteinnahmequelle, jedoch für große Anbieter nicht der einzige Weg, um die Profite zu maximieren.
Einige Großkonzerne, wie etwa Vonovia und Deutsche Wohnen, vergeben Aufträge für Verwaltung und Dienstleistungen an Tochtergesellschaften. Diese rechnen zum Teil überteuerte Dienstleistungen als Nebenkosten ab, so dass die Profite wieder in die Kassen des Konzerns fließen. So verlangt beispielsweise die Deutsche Wohnen die zweit höchsten Nebenkosten (Betriebs- und Heizkosten): durchschnittlich 3,98 €/m².
Auch das systematische Sparen bei nötigen Instandhaltungsmaßnahmen ermöglicht es den Anbietern, Profite zu schlagen, indem sie ihre Ausgaben senken – auf Kosten der Lebensqualität und Sicherheit der Mieter*innen.
Setzt man die Nettokaltmieten und Nebenkosten (Betriebs- und Heizkosten) der Big Players in den Kontext des gesamten Mietmarkts, so ergeben sich weitere Einblicke in ihre Geschäftsmodelle. In der folgenden Grafik sind Nettokaltmiete und Nebenkosten jedes einzelnen Angebots abgebildet. Jeder Punkt repräsentiert ein Wohnungsangebot – in blau die Angebote des ausgewählten Big Players, in braun die Angebote der restlichen Anbieter (exklusive der Big Players).
Demnach verlangen Deutsche Wohnen und Gewobag mit durchschnittlich 3,98 €/m² bzw. 3,48 €/m² mit die höchsten Nebenkosten am gesamten Mietmarkt. Außerdem werden bei einem erheblichen Anteil der Angebote von Akelius Nettokaltmieten von über 20 €/m² verlangt.
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Um die Miethöhe der Big Players zu analysieren, wurde mit einem Verfahren des maschinellen Lernens der Einfluss verschiedener Angebotsmerkmale auf die Nettokaltmiete pro Quadratmeter untersucht. Die Balken in der folgenden Grafik zeigen die relative Wichtigkeit bestimmter Angebotsmerkmale zur Erklärung der Nettokaltmiete pro Quadratmeter an. So überprüft das Modell beispielsweise, wie stark sich die Nettokaltmiete zweier exakt gleicher Wohnungen nur aufgrund verschiedener Anbieter unterscheidet.
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Unser Modell zeigt: Der Anbieter und die Lage (ob innerhalb oder außerhalb des S-Bahn-Rings oder Bezirk) sind die besten Indikatoren zur Vorhersage der Nettokaltmiete pro Quadratmeter. Allein der Fakt, dass eine Wohnung von einem bestimmten Anbieter angeboten wird und nicht von einem anderen, beeinflusst die Nettokaltmiete pro Quadratmeter wie kein anderes Angebotsmerkmal.
Ebenso beim Baujahr: Unterscheiden sich zwei sonst identisch ausgestattete und gelegene Wohnungen nur hinsichlichtlich ihres Baujahrs, führt dies zu einer erheblich unterschiedlichen Nettokaltmiete pro Quadratmeter.
Dass Mietpreise unaufhaltsam in die Höhe schießen und Mieter*innen immer mehr unter Druck stehen, ist kein Naturgesetz. Mietpreise könnten tatsächlich viel niedriger sein, wenn Wohnungen profitfrei – also ohne Gewinne für Kreditgeber*innen oder Eigentümer*innen – gebaut und bewirtschaftet würden.
Mit dem Konzept einer haben wir geschätzt, welche Nettokaltmiete zur profitfreien Bewirtschaftung von Wohnraum nötig wäre. Die „kostendeckende Miete“ allein wäre ausreichend, um langfristig die Bau-, Bewirtschaftungs- und Verwaltungskosten von Mietwohnungen abzudecken. Die Differenz zwischen der tatsächlichen Nettokaltmiete und der „kostendeckenden Miete“ nennen wir „Überschussmiete“. Die „Überschussmiete“ fließt als Zinsen an die Kreditgeber*innen und als Rendite an Eigentümer*innen. Sie ist für Bau oder Bewirtschaftung von Wohnraums nicht notwendig.
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Natürlich nehmen Berlins Big Players ebenfalls erhebliche Überschussmieten ein. Aus den Überschussmieten speisen sich auch die sprudelnden Gewinne der privaten Immobilienkonzerne. Bei den städtischen Wohnungsunternehmen fließen die Überschussmieten größtenteils in die Bedienung von Krediten. Der Rest wird teilweise als Gewinn einbehalten, teilweise fließt er als Steuern zurück an den Staat. Wir haben für die Big Players anhand der Ausstattungsmerkmale und des Alters der angebotenen Wohnungen getrennte Schätzungen ihrer durchschnittlichen kostendeckenden Miete und ihrer Überschussmiete durchgeführt. Das sind die :
Um die Wohnungskrise und den Mietenwahnsinn einzudämmen, wurden in den vergangenen Jahren einige mietpolitische Maßnahmen eingeführt. Die Wirkungen dieser Maßnahmen sind jedoch sehr begrenzt. Durch zahlreiche Schlupflöcher und Ausnahmen können sie von Vermieter*innen umgangen werden. Im Folgenden betrachten wir die Mietpreisbremse und den ihr zugrunde liegenden Mietspiegel.
Der Mietspiegel ist ein Instrument zur Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete für eine Wohnung. In die Berechnung fließen zahlreiche Faktoren ein: Wohnlage, Ausstattung, Baujahr und Wohnungsgröße. Da nur Mietpreise von Neuvermietungen oder Mietänderungen der letzten vier Jahre, aber keine ältere Bestandsmieten oder Mieten aus Sozialwohnungsbau in die Berechnungsgrundlage eingehen, steigt der Mietspiegel als Richtwert zusammen mit den steigenden Mietpreisen.
Wir haben analysiert, wie sich die Mietangebote zwischen April 2018 und Oktober 2019 zu dem jeweils geltenden Mietspiegel (2017 oder 2019) verhalten. Im Schnittden Mietspiegel um 3,39 €/m² (entspricht 47 %). Bei Gebäuden, die bis 1918 gebaut wurden, war die Überschreitung des Mietspiegels mit fast 69 % besonders hoch.
Die Überschreitung des Mietspiegels haben wir für die Ortsteile Berlins errechnet. Spitzenreiter sind die Ortsteile Tiergarten mit einer durchschnittlichen Überschreitung des Mietspiegels von 7,07 €/m² (entspricht 79 %) und Kreuzberg mit einer relativen Überschreitung des Mietspiegels von 92 % (6,46 €/m²).
Die Mietpreisbremse ist ein seit 2015 bundesweit geltendes Gesetz, das die Maximalhöhe für Mietpreise in bestimmten Gegenden festlegt. Laut Mietpreisbremse dürfen Mieten bei Neuvermietungen nur 10 % über der ortsüblichen Miete liegen. Doch die Wirksamkeit dieses Instruments wird durch zahlreiche Ausnahmen stark abgeschwächt und die Beweislast liegt auf Seite der Mieter*innen.
Wir haben für jedes Angebot errechnet, ob der Mietpreis unter oder über der Grenzwerten der Mietpreisbremse lag. Dabei trafen wir die Annahme, dass die vorherige Miete die ortsübliche Vergleichsmiete nicht um mehr als 10 % überschritten hatte. Das Ergebnis: 87 % aller Wohnungen wurden zu Mietpreisen angeboten, die über den Kappungsgrenzen der Mietpreisbremse liegen. Ob durch Missachtung der Regeln oder dank der Ausnahmen: Unsere Daten zeigen, dass die Mietpreisbremse in Berlin so gut wie keine Wirkung hat.
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Gegen stärkere Eingriffe in den Mietmarkt wie einen Mietendeckel oder die Vergesellschaftung von Wohneigentum wird oft argumentiert, die Krise des Wohnmarkts ließe sich allein durch mehr Neubau lösen. Doch schafft Neubau tatsächlich leistbaren Wohnraum?
Laut unseren Daten werden Wohnungen, die zwischen 2010 und 2019 von privaten Anbietern gebaut wurden, für eine durchschnittliche Nettokaltmiete von circa 16 €/m² angeboten – für die meisten Berliner*innen völlig unbezahlbar. Der Wert für die städtischen Anbieter lag hier bei vergleichsweise niedrigen – und dennoch für viele Berliner*innen unbezahlbaren 9,87 €/m². Derzeit vergrößert offensichtlich Neubau durch private Unternehmen das Wohnraumangebot nur für finanzstarke Haushalte.
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Wohnen in der Innenstadt ist teuer. Am höchsten sind die Nettokaltmieten im Neubau – gefolgt von Altbauwohnungen der Jahrhundertwende. Werden die durchschnittlichen Nettokaltmieten nach Baujahrsdekade und Bezirk berechnet, so zeigt sich, dass in manchen innerstädtisch geprägten Bezirken selbst für die sonst eher günstigen Wohnungen aus der Nachkriegszeit mittlerweile etwa 13 €/m² Nettokaltmiete verlangt werden.
Da auch im Altbau die Neuvermietungspreise über 12 €/m² liegen, wird durch einen Umzug vom Alt- in den Neubau keine günstige Wohnung frei – vom berüchtigten „trickle-down“-Effekt ist keine Spur.
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Der Handel mit Wohnraum ist lukrativ, doch die Gewinne der Immobilienwirtschaft gehen zu Lasten der Mieter*innen. Dabei orientieren sich die Preise nicht an den Kosten für den Bau oder Instandhaltung des Wohnraums. Vielmehr handelt es sich um Spekulationspreise, die Berlin in den letzten Jahren in eine Wohnungskrise getrieben haben. Mit der Mietpreisebremse wurde versucht, die Mietpreisentwicklung zu dämpfen. Offensichtlich mit nur sehr geringem Erfolg – der überwältigende Teil der von uns untersuchten Angebote wurde zu Preisen oberhalb der Mietpreisbremse angeboten. Neubau scheint die Wohnungsnot bislang kaum zu lindern. Die Preise sind für Normalverdiener*innen schlicht zu hoch.
Wo wirksame politische Maßnahmen ausbleiben, formiert sich Widerstand seitens der Mieter*innen. Sie kämpfen um bezahlbaren Wohnraum in der Stadt. Der daraus erwachsene Druck und die akute Handlungsnotwendigkeit haben in den letzten Jahren auch politisch den Raum für denkbare Regulierungen erweitert: Mietendeckel, Rekommunalisierung von Immobilien oder Vergesellschaftung. Diese Antworten auf die Wohnungskrise und ihre Wirkungen betrachten wir im folgenden Kapitel.